#61 BDSM zur Traumabewältigung – Teil 1

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Ähnlich wie Louisa (hier gehts zu Teil 2) hat auch Lena eine wahnsinnig interessante Herangehensweise an das Thema BDSM. Schockierend und gleichzeitig hilfreich – für sie auf jeden Fall, und vielleicht auch für viele Gleichgesinnte, die eine Vergewaltigung durchleben mussten. BDSM ist so oder so vielseitig, so aber auch geeignet zur Behandlung von Traumata. Versucht mal, urteilsfrei an diese Folge ranzugehen. Ihr werdet sehr, sehr überrascht sein.

Nika:  Hallo Lena, ich freu mich.

Lena:  Hallo Nika, ich freu mich auch.

Nika:  Ja, super spannend. Ich hab ja schon erwähnt, dass es, ich sag mal, ein sehr interessantes Thema ist, mit dem zu mir gekommen bist. Erzähl mir mal. Über welches Thema sprechen wir heute?

Lena:  Und zwar sprechen wir heute darüber, wie BDSM bei Trauma-Bewältigung hilft und wie es mir persönlich nach einer Vergewaltigung geholfen hat, wieder mit mir selbst ins Reine zu kommen.

Nika:  So, wahrscheinlich denkt der eine oder andere jetzt: Oh krass, das wird eine harte Nummer, weil es um eine Vergewaltigung geht. Als du mir geschrieben hast: Ja, ich wurde vergewaltigt und habe so auch den Weg zum BDSM gefunden, da dachte ich erst: Oha! Ob das so gesund ist? Und gleichzeitig war das auch total spannend, weil ich gedacht habe: Ja krass, das musst du dir auf jeden Fall mal anhören. Im ersten Schritt könnten wahrscheinlich jetzt viele denken: das ist wirklich so eine falsche Herangehensweise! Oder: Wie kann die denn jetzt dadurch ans BDSM kommen? Erzähl mir gerne erstmal ein bisschen von dir. Was ist dir denn passiert?

Vergewaltigung als Anfang

Lena:  Ich hatte mich, als das Ganze so losging, dass Sexualität interessant wurde, habe ich schon gemerkt, dass BDSM da auf jeden Fall ein Thema ist, und habe angefangen, viel darüber zu lesen, um das Ganze mal chronologisch einzuordnen. Dann passierte leider besagter Vorfall mit gerade mal 16 Jahren – war ich da. Und dann war das ganze Thema für mich erstmal geschlossen. Ich habe gesagt: Gut, mir ist Gewalt widerfahren.

Dann kann ich das ja nicht anziehend finden oder mögen, und habe auch mit niemandem über die Vergewaltigung gesprochen und habe dadurch gemerkt, dass es mir psychisch und auch körperlich überhaupt nicht gut ging. Was auch meine Mitmenschen irgendwie gemerkt haben, sei es durch Leistungsabfall in der Schule, aber auch körperliche Probleme, die dazu kamen. Und ich habe mich dann noch weiter mit BDSM beschäftigt, habe viel darüber gelesen und habe gemerkt, dass, wenn ich Schmerzen spüre, d. h. durch Schläge, durch Klammern, durch heißen Wachs, ganz egal, dass ich dann abschalten kann und mich nicht schuldig für die Vergewaltigung gefühlt habe. Dadurch wurde ich aber immer fordernder und brauchte immer mehr Schmerzen, um zu sagen, ich kann loslassen. Das hat mein damaliger Schmerzensbringer – so habe ich immer genannt – auch stutzig gemacht, dass das so nicht funktioniert.

Und ich habe selber gemerkt, dass es mir psychisch dadurch nicht besser geht, weil ich mich danach noch schuldiger gefühlt habe und sich in meinem Kopf immer abspielte: Ja, das hast du jetzt verdient. Du hast nicht aufgepasst. Du bist Schuld an der Vergewaltigung, und das ist jetzt deine Strafe dafür. Und ich habe gemerkt, dass das so nicht weitergehen kann und habe mich in psychologische Betreuung begeben, habe mit einer Psychologin darüber gesprochen, was passiert ist und wie ich mich fühle und habe ihr dann natürlich auch davon erzählt, wie ich vorher versucht habe, mein Gewissen zu erleichtern und dass der Schmerz mir geholfen hat. Sie hat Verständnis dafür gezeigt, kannte sich auch in dem Thema aus.

           Eine Vergewaltigung kann man überwinden

Und zusammen haben wir auch diese misslungenen Sessions aufgearbeitet und ein Ritual für mich entwickelt, was ich damals vor jeder Session dann gemacht habe, was mein Selbstwertgefühl stärkt, mein Selbstbewusstsein auch stärkt. Und jetzt kann ich auch über den Vorfall reden. Ich betreibe guten BDSM – würde ich jetzt nicht beschreiben – weil jeder empfindet gut und schlecht ja anders. Aber es ist etwas, was mich stärkt, was mich positiv aus jeder Session herausgehen lässt, und es ist nichts Selbstzerstörendes mehr. Ich mache mir keine Vorwürfe mehr, dass ich Schuld an dieser Vergewaltigung bin, weil, die Opfer können nicht schuld daran sein, dass ihnen Gewalt widerfährt.

Ja, dadurch, dass ich die Kontrolle abgeben kann, muss ich mir auch keine Gedanken mehr darüber machen, was jetzt mit mir passiert. Und ich kann entspannen, auch wenn es vielleicht komisch klingt, dass, wenn man einmal die Macht oder die Kontrolle über sich selbst verloren hat, dass man sie dann freiwillig wieder abgibt.

Nika:  Jetzt müssen wir kurz zurückrudern. Magst du uns erzählen, wie es zu der Vergewaltigung gekommen ist? Also kanntest du ihn? Was ist da passiert? Also wie kommt man dazu, dass einem sowas widerfährt?

Lena:  Ja, das war einer aus dem Bekanntenkreis. Ich war mit einer Freundin losgefahren zu einer Party. Wie gesagt, wir waren gerade 16. Nach zwei oder drei Radlern habe ich leider Migräne bekommen und habe mich von ihr verabschiedet und hab mir ein Taxi gerufen, um nach Hause zu fahren. Und habe dann, weil die Kopfschmerzen immer schlimmer wurden, vor der Disco gewartet. Dann kam er um die Ecke, und so schnell konnte ich gar nicht reagieren, wie er die Hände um meinen Hals gelegt hatte und mich an die Wand gedrückt hat. Er hat mich in der Situation ganz schlimm gewürgt, so lange, bis ich fasst das Bewusstsein verloren hatte, und ich war irgendwie wie erstarrt. Das Ganze ging erstaunlich schnell.

Ich hätte mir mein erstes Mal eigentlich auch anders vorgestellt.

Aber lässt sich jetzt im Nachhinein nicht mehr ändern. Danach bin ich nach Hause und war einfach nur traumatisiert. Ich wusste gar nichts mit mir anzufangen, was da jetzt passiert ist. Und erst am nächsten Tag ist mir so wirklich klar geworden, was mir widerfahren ist.

Nika:  Es war dein erstes Mal? Habe ich das richtig verstanden?

Lena:  Ja!

Nika:  Okay! Also wie ging es dann weiter? Ich meine, wenn du ihn kanntest, hast du ihn konfrontiert? Hast du ihn angezeigt? Wurde er verurteilt? Was ist dann passiert?

Lena:  Ich hatte damals nicht genug Selbstbewusstsein, gegen ihn vorzugehen. Ich hab das in mich hinein gefressen, hab da mit niemandem drüber gesprochen, und das hat es einfach nur noch schlimmer gemacht. Ich habe das versucht, mit mir selber auszumachen, und das hat überhaupt nicht funktioniert. Und irgendwann habe ich einfach mit meiner besten Freundin versucht, darüber zu reden. Aber auch sie war irgendwie hilflos in der Situation, weil sie nicht wusste, wie sie mir helfen soll, und hat dann immer nur gesagt: Ja, du musst dir professionelle Hilfe suchen. Ich kann das nicht. Aber ich habe leider zuerst nicht auf sie gehört, sondern hab dann einen Ausweg im Schmerz gesucht. Es war dann, wenn ich über einen bestimmten Punkt war, konnte ich einfach den Kopf abschalten und hatte nur noch Schmerzen. Endlich hat der Kopf mal aufgehört zu rattern.

Nika:  Das heißt, du hast dich selbst verletzt?

Lena:  Nein, ich habe mich schlagen lassen.

Kompensation nach einer Vergewaltigung

Nika:  Von wem?

Lena:  Von einem guten Freund damals, wo ich gesagt habe: Ich brauch das jetzt! Frag nicht warum, sondern mach einfach. Und er hat es tatsächlich so dann auch gemacht, bis er dann gemerkt hat, dass es mir dadurch nicht besser sondern nur noch schlechter geht, und er dann mit mir auch zur Psychologin gegangen ist.

Nika:  Hast du noch selber Kontakt zu dem Vergewaltiger gesucht? Oder kennst du ihn heute noch? Wie ist da der Werdegang gewesen?

Lena:  Ich hab ihn damit konfrontiert, was passiert ist. Ein halbes Jahr später. Ich musste erst mir selber klar werden darüber. Und sein Kommentar war dazu:

Ha, schade, dass ich einen Filmriss von dem Abend hab, da würde ich mich gerne dran erinnern!

Nika:  Lassen wir mal so stehen. Gut, also du hast dann, wenn ich das jetzt chronologisch ordne, du wurdest dann vergewaltigt. Dann hast du irgendwie versucht, dich, ja ich glaube, das ist ja der klassische Weg von Menschen, denen sowas widerfahren ist und die da nicht drüber sprechen können, in dich selbst zurückgezogen, hast dann aber versucht, das mit deinem Freund damals zu klären, indem er dich geschlagen hat. Und dann ging es zur Therapie. Er hat dir da wahrscheinlich auch sehr geholfen, dich dazu zu bringen. Und deine beste Freundin auch, zu sagen: Du brauchst jetzt wirklich Hilfe!

Lena:  Ja, auf jeden Fall. Nur durch seine Hilfe bin ich auch jetzt soweit, dass ich sage, ich spreche darüber. Und auch, dass ich von diesem „schlechten Schmerz“ weg bin. Dass ich das nicht mehr brauche, um zu entspannen, um im Kopf loslassen zu können. Bis heute haben wir ein enges Verhältnis und er ist jetzt auch zu meinem Herrn geworden.

Nika:  Aaah, ja gut, da kommen wir später drauf zurück. Da hast du mir ja, bevor wir angefangen haben, schon was Interessantes darüber erzählt. Bleiben wir kurz bei der Therapie. Du bist dann zur Therapie gegangen. Ich frage da bewusst, es ja sicherlich auch leider Gleichgesinnte gibt, denen das auch passiert ist. Wir wollen denen ja auch so ein bisschen helfen. Das kannst du ja am besten, indem du mir deine Geschichte erzählst. Das ist echt toll. Du bist dann zur Therapie gegangen. Was ist da passiert? Wie bist du dazu gekommen? Was habt ihr da gemacht?

Lena:  Also zuerst hat die Psychologin mich nicht bedrängt, über das Ereignis zu reden, sondern mein bester Freund damals hat ihr dann schon gesagt, „worum“ es geht, damit sie eine Ahnung hat, in welche Richtung das geht. Und dann hat sie mich erstmal erzählen lassen. Die ersten paar Treffen habe ich ihr nur davon erzählt, wie mein Tag war und wie ich mich gefühlt habe, und was in meinem Kopf so rumschwirrt.

Über das Ereignis selber haben wir gar nicht gesprochen. Ich habe auch am Anfang das mit dieser Entspannung durch die Schmerzen komplett ausgelassen und habe ihr das zuerst nicht gesagt, bis sie dann gemerkt hat: Okay, wir haben jetzt über das Ereignis gesprochen. Wir haben darüber gesprochen, wie du dich fühlst, aber ich merke, dass bei dir da noch mehr ist, dass du mir nicht alles erzählt hast.

Dann habe ich ihr das auch erzählt. Ich hatte halt eben Glück, dass sie in dem Thema sehr, sehr tief auch mit drin ist. Sie hat das Ganze dann mit mir aufgedröselt und hat mir dann gesagt, was da wie dann durch den Schmerz verknüpft wird und dass ich das auch anders erreichen kann und dass das besser für mich ist. Wir haben mentale Übungen gemacht, dass ich mir nicht mehr Selbstvorwürfe mache und die auch mein Selbstbewusstsein stärken und dass ich mich auch wieder in meinem Körper wohlfühle.

Wir haben ein Ritual entwickelt, dass ich mich vor Sessions in aller Ruhe mit mir selbst beschäftigt habe. D. h., was man so macht, wenn man schick ausgeht. Man geht entspannt duschen, man cremt sich ein, und dann setze ich mich mit einem Glas Wein und ein paar Kerzen vor den Spiegel. Schön auf einer Decke, und probiere verschiedene Outfits an und sage jedes Mal: Bor, siehst du heute aber gut aus. Das wird ihm sicherlich gefallen. Da wo ich mich am wohlsten drin fühle, das führe ich dann auch aus. Dadurch hat sich mein Selbstbewusstsein ungemein gesteigert. Ich fühle mich auch wieder wohl in meinem Körper und mag mich auch wieder total.

BDSM nach einer Vergewaltigung – Kompensation in gesundem Maße

Nika:  Jetzt hat sie wahrscheinlich ja nicht gewusst, dass du BDSM betreibst. Wie hat sie reagiert, als du ihr gesagt hast, dass das ein Weg für dich ist bzw. wäre? Du warst da ja noch auf deinem Weg.

Lena:  Ja, sie findet das an sich, dass es ein sehr guter Weg ist, weil sehr viel kommuniziert wird in BDSM-Beziehungen generell. Ich meine jetzt, dass ich auch mit meinem Herrn sehr, sehr viel rede und wir schon eine gewisse Vertrauensbasis hatten. Schon vorher, die auch durch diese Vergewaltigung nicht erschüttert worden ist. D. h., ich konnte mich bei ihm ja wirklich fallen lassen, obwohl ich erstmal gegenüber allen anderen Männern eigentlich sehr misstrauisch war. Und sie hat mit mir jede Session, die wir vorher veranstaltet haben, auseinander genommen. Wir haben geguckt, was war gut, was war schlecht, und haben dann zusammen auch ein, ja kein Drehbuch, sondern eher einen Rahmen entwickelt, in dem eine Session mir hilft.

Ein Gefühl bekommen nach einer Vergewaltigung

Wir haben uns auch anfangs sehr an diesen Rahmen gehalten. Mittlerweile haben wir das selber aber im Gefühl, was wir mögen, was mir hilft und was nicht. Aber sie hat mich quasi angeleitet, die ersten Sessions dann richtig und im gegenseitigen Einverständnis, dass ich mich auch gut fühle, dass mein Herr mich auch zwischendurch auffängt. Das war ganz wichtig, dass er mir immer wieder Mut zuspricht und dass er mich lobt, weil ich mir ja viele Selbstvorwürfe dann auch immer gemacht habe, weil ich ihn ja für meine Bedürfnisse missbraucht hatte in dem Sinne.

Ich hab ihn ja dafür benutzt, um den Kopf einfach mal abzuschalten und hab nicht darüber nachgedacht, wie er sich vielleicht fühlt. Und somit haben wir das alles aufgearbeitet. Sie war dem Thema sehr offen gegenüber und sieht es halt eben auch als große Möglichkeit, mit sich selber wieder ins Reine zu kommen.

Nika:  Konnte sie mit dem Begriff direkt von Anfang an was anfangen? Weil, man soll ja nicht meinen, wenn man zur Psychologin geht, dass sie auch Teil dieser „Szene“ ist. Wusste sie direkt, worum es geht? Oder musste sie sich da auch erstmal einlesen oder dich da nutzen, um da mehr drüber zu erfahren?

Lena:  Also sie wusste schon, worum es geht. Ich bin anscheinend auch nicht die einzige, die mit BDSM Trauma bewältigt und das mit ihr durchgesprochen hat. Sie hat sich natürlich noch weiter eingelesen und hat auch gesagt, dass sie sich immer weiterbilden muss, dass es jeder ja anders treibt und dass sie aber nicht abgeneigt dem gegenüber ist, sondern offen, und dass sie erstmal alles gut findet, was den Menschen hilft.

Rituale nach einer Vergewaltigung – die kleinen Helferchen in der Not

Nika:  Innerhalb einer Session: Wenn du jetzt sagst, du hast dein Ritual, du bereitest dich mental darauf vor, und dann passiert das. Kommt die Vergewaltigung trotzdem ab und zu nochmal hoch? Und was machst du dann, wenn es so sein sollte, in dieser Situation?

Folgen einer Vergewaltigung

Lena:  Ja, ich lasse mich nicht von anderen Menschen am Hals berühren. Das ist für mich ein absolutes NoGo. Dadurch, dass ich da ja so gewürgt wurde, ist jede kleinste Berührung, sei es auch nur mit den Fingern entlang oder auch nur gut gemeinter Kuss – geht nicht. Das führt zum sofortigen Abbruch. Das ist so das Einzige, wenn er vielleicht aus Versehen mal daran kommt oder wenn er mir auch nur in die Haare fasst und dann an meinen Nacken kommt, dass das manchmal schon solche Bilder hervorruft wo ich dann sagen muss: Okay, wir müssen hier mal eine Pause einlegen.

Aber das merkt er auch sofort an meiner körperlichen Reaktion, weil ich direkt in die Abwehrhaltung gehe. Ich greife an seine Hände, drehe den Kopf weg. Das ist so die einzige Situation, wo das mal hochkommt. Sonst habe ich das eigentlich ziemlich unter Kontrolle. Ich habe manchmal so eine kleine Stimme im Kopf, die mir sagt: Das hast du jetzt aber nicht gut gemacht. Du hast ihn provoziert, du kriegst jetzt eine Strafe dafür, du hast es verdient. Diese kleine Stimme im Kopf, die kann ich aber meistens, ich sag immer, in meinen eigenen kleinen Käfig sperren, weil da gehört sie rein. Das ist ja nicht so. Wenn ich ihn provoziere, dann ist das klar, das gehört zu unserem Spiel mit dazu, dass es dann auch im Strafbuch eingetragen und abgestraft wird.

Aber es bezieht sich dann nur darauf, dass ich beispielsweise gegen sein Ohr geschnipst habe. Dann ist das dafür. Und alles andere ist okay. Er würde mir auch niemals irgendwelche Vorwürfe machen, während er mich bestraft, weil er dann weiß, dass diese kleine Stimme sofort riesengroß in mir wird und ich mich dadurch sehr, sehr schlecht fühle.

Flashbacks nach einer Vergewaltigung – sie erinnern dich

Nika:  Glaubst du denn, dass das mit dem Nicht an den Hals packen dürfen – ist das eine Art Verdrängung oder ist das dein wirklich gesunder Umgang? Das frage ich jetzt, weil, ich als externe Person denke jetzt sofort: Okay, hat sie das jetzt wirklich verarbeitet, wenn sie bewusst nicht möchte, dass ihr an den Hals gefasst wird? Das wäre an sich ja ein gesünderer Umgang, wenn sie sich damit konfrontiert! Wie ist das für dich?

Therapie nach Vergewaltigung? Ja, bitte!

Lena:  Ich bin dabei, das zu verarbeiten. Man kann nicht sagen, nach einem Jahr Therapiesitzung ist ein Haken an der Sache und du hast abgeschlossen. Jeder Mensch hat seine Geschichte, sowohl positiv als auch negativ, und trägt die irgendwie mit sich herum. Im Moment fühle ich mich noch nicht dazu bereit, den letzten Schritt zu gehen, um in die Konfrontation mit meinem Hals zu gehen, sondern ich sage im Moment: Okay, es muss sich erst mal mein jetziges Ich soweit festigen. Ich muss mein Selbstbewusstsein festigen, ich muss mit der ganzen Situation klarkommen.

Der ganze Vorfall ist jetzt vier Jahre her. Es dauert Jahre, bis man sowas verarbeitet hat. Das ist so der letzte Schritt. Ich habe einen großen Teil der ganzen Sache verarbeitet, ich reflektiere viel darüber und arbeite auch weiterhin an mir, damit es mir irgendwann besser geht und ich irgendwann ein ganz normales Leben soweit wieder führen kann, trotz der Vorgeschichte. Aber im Moment sitzt die Sache mit dem Hals einfach noch viel zu tief. Das hat mich extremst verletzt.

Zeit heilt alle Wunden – auch die einer Vergewaltigung

Nika:  Gut, aber dass du dir dessen bewusst bist, das ist ja schon der gesunde Umgang damit. Also dir ist das ja bewusst, dass da noch Bedarf ist bei dir. Und wenn du das erstmal nach hinten schiebst und eins nach dem anderen machst, ist doch auch schon eine super Sache.

Lena:  Ja, man möchte sich ja auch selber nicht überfordern.

Nika:  Genau. Jetzt hast du schon gerade in einem Nebensatz das Wort Strafbuch benutzt. Sprechen wir doch mal ein bisschen über deinen Herrn, über die Beziehung, über das, was da so alles passiert. Du sagst, derjenige, der dir damals so geholfen, das hat sich so aufgebaut dann zu einem richtigen intensiven Kontakt, in eine BDSM-Beziehung. Was ist denn das für ein Strafbuch? Was ist das und wie baut ihr das in eure Beziehung ein?

Lena:  Ich bin ein bisschen frech, vielleicht auch ein bisschen mehr, je nach dem, wen man fragt. Ich würde mal sagen, ein kleines bisschen. Ich bin auch nicht auf den Mund gefallen und hab eigentlich immer einen blöden Spruch auf den Lippen. Und da muss mein Herr manchmal durch. Solche Sprüche schreibt er dann gerne auf in sein Strafbüchlein. Oder wenn ich Aufgaben von ihm bekomme. Wenn die nicht ganz klipp und klar formuliert sind, finde ich immer irgendein Schlupfloch, wie ich da auch mal vor wegkomme, wenn ich da keine Lust drauf habe, oder es auch mal mit Absicht mal Zeit ist, ihn zu provozieren.

Das wird dann alles schön ins Strafbüchlein eingetragen. Und wenn wir dann eine Session veranstalten, ist das ein Ritual, dass er mir darauf vorliest, was ich mir habe zu Schulden kommen lassen, und wir das Ganze dann gemeinsam abstrafen. Danach, nach der Session, bei einem guten Glas Wein zusammensitzen und die Sachen gemeinsam aus dem Strafbuch herausstreichen. Das ist für mich sowas, wenn ich das rausgestrichen habe mit ihm, ist das Ganze abgehakt, dann ist er nicht mehr böse auf mich. Ich habe meine „Schuld“ beglichen und bin sogar noch stolz drauf, dass ich das so gut ausgehalten habe.

Nach einer Vergewaltigung – Neue und besondere Beziehungen sind möglich

Nika:  Was ist das für eine Beziehung zwischen euch? Ihr kennt euch ja jetzt schon lange. Gut, im Nebensatz jetzt mal kurz erwähnt, du bist 20 Jahre alt. Das ist auch schon wieder eine faszinierende Sache, dass du da schon so reflektiert wirkst, trotz dass du „erst“ 20 Jahre alt bist. Das ist ja schon sehr, sehr cool. Sprich, ihr kennt euch ja schon mindestens vier Jahre. Wie sieht euer Alltag aus? Führt ihr eine richtige Beziehung? Oder ist es wirklich nur eine BDSM-Beziehung, wo man sich temporär trifft und dann wieder jeder seine eigenen Wege geht? Was ist das?

Lena:  Also es ist eher in Richtung einer BDSM-Beziehung. Wir haben eine große emotionale Bindung, dadurch dass er mir ja auch durch die schwere Zeit geholfen hat und wir jetzt ja auch zusammen spielen. Dadurch, dass wir auch in getrennten Wohnungen leben, sehen wir uns halt eben wirklich nur zu diesen Sessions. Und das ist dann auch etwas ziemlich Besonderes, wenn wir uns dann treffen. Deswegen auch das Ritual immer davor, dass man sich geistig darauf vorbereitet. Natürlich bekomme ich zwischendurch im Alltag Aufgaben von ihm, z. B. solche Scherzchen wie ohne Unterwäsche zur Arbeit zu gehen.

Solche Scherzchen gibt es dann zwischendurch.

Nika:  Jetzt ist er ja auch erst 20 wahrscheinlich, oder in dem Rahmen. Oder ist er schon sehr viel älter als du?

Lena:  Er ist schon ein bisschen älter als ich. Dementsprechend auch schon ruhiger, reflektierter. Ja, er gibt mir einfach den nötigen Halt und ich kann mich mit ihm auch sehr tiefgreifend unterhalten, dass ich dann mal im Käfig sitze oder gefesselt bin, das klingt ja nur für den Außenstehenden komisch.

Vergewaltigung überwinden mit Hilfe eines Mannes

Nika:  Hatte er vor dir schon Erfahrung oder Ansätze im BDSM-Bereich? Oder, wenn er auch älter ist als du, hast du ihn dazu gebracht oder hat er dich eher dazu gebracht?

Lena:  Er hatte schon vorher mal eine Beziehung, wo das zur Sprache kam, die aber irgendwie aufgelöst hat, lange bevor wir uns kennengelernt haben. Ich hab ihn dann irgendwann drauf angesprochen, immer mal so Andeutungen gemacht. Da ist er dann oft drauf eingestiegen. Dann haben wir uns darüber unterhalten, und dann irgendwann so: Ach du könntest doch mal zuschlagen. Zeig mal, ob du das wirklich kannst. So hat das Ganze dann angefangen. Also er hatte vorher schon Ahnung, aber jetzt nicht, dass man sagt, er war der Super-duper-Dom.

Nika:  Okay, also ihr seid quasi so zusammengewachsen.

Lena:  Richtig, wir haben zusammen voneinander und miteinander gelernt.

Nika:  Weiß er, dass wir heute miteinander sprechen?

Lena:  Noch nicht, dass muss ich ihm irgendwann nochmal auf die Nase binden. Mal gucken, auf welcher Seite des Buches das einen Eintrag gibt. Auf der bösen oder auf der lieben Seite.

Nika:  Jetzt hast du ja schon gesagt, ihr führt eigentlich „nur“ eine klassische BDSM-Beziehung. Also ihr seht euch vielleicht ein-, zweimal die Woche. Aber ansonsten seid ihr da nicht miteinander verbunden. Jetzt hast du mir ja vor dem Interview schon erzählt, ihr wart zusammen im Urlaub.

Abstand nach Vergewaltigung: BDSM-Urlaub

Lena:  Ja, ganz genau. Und zwar haben wir einen kleinen BDSM-Urlaub gemacht. Wir haben uns eine Ferienwohnung gesucht mit einem wunderschönen Spielzimmer. Tagsüber dann das klassische Touri-Programm mit Sightseeing und durch die Altstadt bummeln und allem was dazu gehört. Sobald wir dann zuhause waren, sind wir dann in unsere Rollen geschlüpft und haben dann die Nacht zum Tag gemacht.

Nika:  Das heißt also, im privaten Bereich seid ihr auch doch irgendwie miteinander verbunden. Also es ist schon so, dass ihr euch innig seid.

Lena:  Ja, auf jeden Fall. Wir haben auch eine sehr starke Bindung. Und oft, wenn wir unterwegs sind, halten uns sehr, sehr viele für ein normales Pärchen.

Nika:  Wie gehen denn andere damit um? Also weiß dein Freundeskreis soweit Bescheid? Oder wie ist das auch mit anderen Männern, die in den Leben treten? Wie ist das da für dich?

Lena:  Ja, ich habe ein, zwei Freundinnen, die Bescheid wissen, die selber zwar nichts mit der Szene zu tun haben. Aber dann sehr neugierig sind und hin und wieder einfach mal drücken und fragen: Na, tut’s noch weh? Oder sind die blauen Flecken vom Schreibtisch? Die gehen da sehr offen dran, fragen oft nach und lassen sich gerne auch Sachen von mir zeigen. Aber sonst, bei Männern bin ich da eher zurückhaltend. Ich finde das sehr schwierig, auf einer Party jemanden anzusprechen und zu sagen:

Ich bin Masochistin. Und du?

Ist immer ein etwas schwieriger Gesprächseinstieg, und deswegen mache ich, wenn ich die Person besser kenne, so Andeutungen irgendwie in die Richtung: lass vielleicht mal ein, zwei passende Bücher zu dem Thema liegen und guck mal, wie er drauf reagiert. Das ist bis jetzt nur bei einem soweit gekommen, dass er gesagt hat: Oh, spannend. Ach, und wie machst du es denn? Und das ist jetzt gerade so gut. Wir lernen uns kennen. Wir reden viel darüber, haben sehr ähnliche Ansichten, was ja auch schon mal eine gute Basis ist, und dann werden wir mal sehen, was sich darauf entwickelt.

Nika:  Was ihr Herr dazu sagt, als Lena mit einem neuen Mann um die Ecke kommt. Und auch, wie der Anwärter reagiert, als er unverhofft Lena’s Herrn bei Kaffee kennenlernt, all das erfahrt ihr in dem zweiten Teil des Interviews, und noch viele, viele weitere interessante Details aus Lena’s Leben.

Ein paar Schlagwörter

Warum macht sie das?

  • aktuell: BDSM greifbarer machen
  • Ermutigen auch einen Blick über euren Tellerrand zu wagen

Wie macht sie das?

  • Ausbruch - neue/alternative Wege gehen
  • Motivation und Inspiration durch Menschen, Momente und nimmersatte Neugierde

Womit macht sie das?

  • Mit Geschichten aus dem wahren Leben.
  • Mit eigener Erfahrung, die sie euch zu Nutze macht.
  • Mit knallharter Wahrheit und derzeit jeder Menge Fakten über die schwarz-bunte Welt der BDSM Szene