#87 Nika zieht blank – Interview mit meiner Mama Teil 2

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Im ersten Teil hat uns meine Mama schon mit in ihre Welt genommen und wie sie dazu gekommen ist, in meine einzusteigen. Heute geben wir euch den Rest. Viel Spaß.

Nika:             Jetzt hast du ja durch das Schreiben der Blogg-Artikel Einblicke bekommen. Wie wirkt diese „Szene“ – das ist ja auch immer so eine Sache, ob man jetzt Szene sagt oder nicht – aber wie wirkt das auf dich, das Ganze? Hättest du gedacht, dass BDSM so gesehen wird von den Leuten oder Gästen?

Mama:          Ich bin eigentlich erstaunt, wie relativ harmlos das alles ist. Also ich würde es als harmlos bezeichnen, denn es ist ja wirklich einfach nur was, was zwei Menschen miteinander machen, oder irgendwelche Vorlieben, die sie ausleben, wenn sie als Tier verkleidet über die Straße laufen oder wie auch immer. Das gehört ja auch dazu. Warum? Ist doch nicht schlimm. Ist doch in Ordnung.

Und ich finde, solange die Menschen da Spaß dran haben und das wirklich für sich machen, um sich besser zu fühlen, ist das doch absolut okay. Das muss man einfach akzeptieren. Und ich finde es ganz schlimm, wenn Leute da negativ drüber reden. Wenn sie da nichts mit an der Mütze haben, dann sollen sie es lassen. Aber die sollen die Leute in Ruhe lassen, die so leben und die das machen möchten. Solange die niemanden damit ärgern und ernsthaft verletzen oder wie auch immer, ist das deren Sache. So finde ich das wichtig. Das ist meine persönliche Meinung, und so sollte man eigentlich damit umgehen.

Nika:             Womit wir dann ja bei dem Thema sind: Wie reagierst du, wenn dich jemand aus dem Bekanntenkreis oder Familienkreis ansprechen würde. Einmal ist es sogar schon passiert. Kannst du gleich mal erzählen. Wie reagierst du da? Bist du da eher stolz auf mich, oder versuchst du, das so abzutun oder das Thema zu wechseln. Wie ist das für dich?

Mama:          Also abtun tue ich das mit Sicherheit nicht. Einmal hatten wir das ja. Das war auf dem Weihnachtsmarkt.

Nika:             Was ist da passiert?

Mama:          Da warst du ja bei Domian gewesen, und dann bin ich auf dem Weihnachtsmarkt von einer Bekannten angesprochen worden. „Hey, deine Tochter war im Fernsehen.“ Ich sag: „Weiß ich.“ „Was die da gemacht hat, ist ja schon ein bisschen ungewöhnlich.“ Ich sag: „Ja, finde ich aber toll.

Warum denn nicht.“ Da war die so perplex, dass die gar nichts mehr gesagt hat. Dann war das Thema eigentlich mehr oder weniger durch. Sie hat mich nicht weiter angesprochen, weil sie wahrscheinlich nicht mit meiner Reaktion gerechnet hat – denke ich mal. Und ich muss gestehen, bei uns auf dem Dorf hat mich noch keiner angesprochen.

Und wenn, würde ich genauso reagieren und würde sagen: Ja, finde ich gut. Das ist ihr Leben. Sie tut niemandem was. Da kann sie ganz locker mit leben. Aber ich glaube, selbst wenn das viele wissen bei uns auf dem Dorf, die würden mich nicht ansprechen, eben weil sie mich kennen, weil sie wissen, dass ich so reagieren würde, und weil sie, glaube ich, ein Problem damit hätten, dass ich weiß, dass sie in der Szene unterwegs sind. Das könnte ich mir so vorstellen. Denn ich kann mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, dass es keiner weiß.

Nika:             Mittlerweile kann ich mir das auch nur schwer vorstellen, weil wir ja auch bei Jürgen von der Lippe zusammen waren. Das ist ja auch so etwas. Das wurde im WDR ausgestrahlt. Klar, war unspannend, aber trotzdem, wir waren ja zu sehen. Das hört sich immer so blöd an, aber in eurem Alter guckt man ja sowas schon mal. Ich finde es spannend, dass dich da noch nicht so viele drauf angesprochen haben.

Mama:          Ich denke, die trauen sich nicht. Da gehe ich mal von aus.

Nika:             Das wird das sein.

Mama:          Ich würde ja nie negativ darüber reden. Warum? Wie gesagt. Du kennst meine Einstellung, die habe ich gerade klar und deutlich gesagt, und das würde ich auch jedem gegenüber so vertreten.

Nika:             Also ich muss ja sagen, aus meiner Sicht war ich bisher, oder bin ich immer noch total perplex, wie die Leute darauf reagiert haben. Selbst meine Tante, also die Schwester von meinem Vater, da habe ich auch erst gedacht: Ohhhh! Die kommt zwar aus dem Pott und ist total entspannt und total lustig. Aber da ist es ja immer noch ein Unterschied, ob man jetzt sagt: Okay, mach das. Oder so wie sie: Wow, toll, ich will dein Buch. Auch jetzt am Wochenende. Da hatte mein Vater Geburtstag.

Wir haben ein befreundetes Paar, das eine Druckerei besitzt. Ich habe jetzt mit ihr gesprochen über das Thema Buchdruck. Sie wusste das ja natürlich nicht, was ich so mache. Ich habe ihr einfach das Cover geschickt oder das Manuskript. Dann hat sie mich am Wochenende strahlend angeguckt und gesagt: „Du hast ja ein interessantes Thema.“ Das ist so krass. Da denke ich immer: Ihr seid alle so cool, dass ihr da so entspannt reagiert, und das halt auch in eurem Alter. In meinem Alter wäre das ja noch so: Meine Freundinnen finden das spannend und total interessant. Aber wie kann das sein, dass im Endeffekt ja doch eigentlich alle cool damit sind?

Mama:          Tja, weiß ich auch nicht. Weil ich einfach glaube, weil sie wissen, dass wir dahinter stehen. Da würden sie sich wahrscheinlich schon mal gar nicht trauen, vielleicht was Negatives zu sagen. Ich meine, Papas Schwester ist sowieso recht locker flockig. Kann man ja nicht anders sagen. Vielleicht ist das einfach dieses ‚ich kann darüber reden‘. ‚Ich muss mich nicht zurückhalten, obwohl ich es eigentlich vielleicht machen würde, obwohl ich Probleme habe, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Aber das ist ein Kreis, da dann ich darüber reden und ich finde das toll. Und das nutze ich jetzt mal aus.‘ So könnte ich mir das vorstellen. Gehe ich mal von aus. Das wäre für mich eine Erklärung.

Nika:             Vielleicht ist es auch – also das habe ich jetzt zumindest so in unserer Altersspanne schon gemerkt – die Bühne, die man dann bekommt oder die Plattform, die ich biete, wenn ich sage: Hör mal, hier, ich gehe mit dem Thema ganz offen um, dann habe ich zumindest schon öfter gesehen oder gemerkt, dann werden die Leute sofort locker und sprechen auch mal über diese Themen. Das ist eigentlich immer total schön für mich zu sehen, und andersrum aber auch schade, weil ich mir denke: Wieso muss ich denn erst euch die Bühne geben, damit ihr darüber sprecht. Ihr könnt doch auch so offen reden.

Mama:          Ja, aber das ist unsere Erziehung.

Nika:             Ich glaube, das hat wirklich viel mit Erziehung zu tun.

Mama:          Auf jeden Fall, natürlich. Guck mal, meine Eltern. Wie alt waren die, ne? Opa war 45, als ich geboren bin. Das war eine ganz andere Zeit. Das ist einfach so. Und dieses Gefühl ‚eh, ich kann einfach mal zeigen, ich finde das alles auch gar nicht so schlimm‘, ich glaube, das macht ganz viel aus.

Nika:             Womit wir dann ja beim Thema Befreiung wären. Im Podcast kommt das ja auch immer wieder raus bei den Interviews, wie erleichternd das ist, darüber sprechen zu können. Ich finde es immer total faszinierend. Ich meine, selbst wenn dann jetzt eine Freundin – das ist ja ein befreundetes Pärchen von euch mit der Druckerei – sagt: Bor, das ist ja ein interessantes Thema. Das ist zwar nur ein Satz, aber es ist so vielsagend.

Dieses: ‚Cool, dass du darüber sprichst. Wenn du Lust hast, wenn wir jetzt noch ein Glas Weinchen dazu nehmen, dann sprechen wir da mal genauer drüber‘. Ich finde das toll. Und auf der anderen Seite: Warum war das bisher nie so? Oder warum können die Menschen da nicht so drüber sprechen? Ja, Erziehung ist das Eine. Aber anscheinend ist es ja jetzt auch egal, in welcher Altersspanne. Selbst innerhalb von Freundschaften oder auch innerhalb der Familie werden so manche Themen immer noch ausgeklammert. Sexualität …

Mama:          Sagen wir mal so, da werden dumme Witze drüber gemacht, sogar ziemlich herablassende Witze, und das ist manchmal einfach nur genau der falsche Weg. Da merkt man eigentlich – also finde ich jedenfalls – das ist ja ein Privileg der Männer, schmutzige Witze zu erzählen, wenn man irgendwie schon mal mit einer Gruppe zusammen ist und drei, vier Bierchen getrunken wurden. Aber ich glaube, das ist einfach ein Zeichen: Ich würde einfach gerne darüber reden, aber ich habe den Mut nicht.

Nika:             Ja, spannend, oder?

Mama:          Ja, so empfinde ich das mittlerweile. Das hat sich aber auch im Laufe der Zeit erst entwickelt, weil, wie gesagt, diese ganze Sexualität und alles, was damit zusammenhängt, ist ja in der heutigen Zeit sowieso ganz krass mit Gender und allem, was da so zugehört. Das entwickelt sich ja nur in eine Richtung, wo es immer freier wird. Von daher glaube ich einfach, das hängt alles irgendwie zusammen. Sie trauen sich noch nicht, so direkt aus sich herauszugehen, aber die ersten Versuche kommen, dass man einfach mal lockerer wird und offener redet. So würde ich das jetzt mal erklären – versuchen zu erklären.

Nika:             Ja, und vielleicht ist es dann auch genau richtig. Es gibt ja immer mehr Podcasts, die sich mit dem Thema befassen. Aber auch diese Inhalte, die ich dann biete. Da sind ja wahrscheinlich schon viele Themen bei, wo man sich denkt: Ist ja gar nicht so schlimm. Das wäre dann ja was für die Leute, die Anfänger sind, um das so als Anfang zu nehmen. Aber es gibt natürlich auch so extremere Sachen.

Das ist manchmal ganz süß. Meine Mama schickt mir manchmal so … ‚sag mal, wie schreibt man denn so das und das … Luna? Oder Popper? Oder wie heißt das? … Das ist immer ganz süß, wenn sie dann anfragt, was das ist. Wie ist das denn für dich, wenn du dann sowas Exotischeres hörst bzw., wo du zum ersten Mal gelesen hast ‚Natursekt‘, also NS? Da hast du mich auch gefragt: „Was ist denn NS?“ „Natursekt.“ „Und was ist Natursekt?“ „Ja, ich pinkel halt Menschen an, die es wollen.“ Wie ist das für dich? Zum einen, wie ist das generell für dich, dass Menschen das wollen? Und zum anderen, dass deine Tochter das macht?

Mama:          Ja gut, sagen wir mal, das ist natürlich jetzt ‘ne Sache, wenn ich mir die bildlich vorstelle, finde ich es ein bisschen fies, ich persönlich. Aber das ist halt mein Empfinden. Wenn jemand das möchte und du sagst: Okay, ich mach das! Dann ist das deine Sache. Wenn du damit klar kommst, habe ich da kein Problem mit. Nur es gibt, wie du schon sagst, diverse Sachen, wo ich dann wirklich einfach mal denke: Was war das jetzt? Erstmal verstehe ich das manchmal ja auch nicht, wie dieses ‚Looner‘. Das hatte ich erst ganz anders geschrieben. Dann habe ich es doch gefunden, habe ich ja geschrieben. Dann lese ich aber auch, was dahinter steckt, weil ich das wissen will.

Nika:             Ach geil. Ja und? Was denkst du dann so?

Mama:          Ja, interessant. Ich stelle mir dann manche Sachen bildlich vor und finde es einfach ganz witzig. Muss ich sagen. Doch.

Nika:             Gab es denn auch mal so eine Folge, wo du gedacht hast: Bor nee, geht gar nicht! Zum Beispiel diese Grenze wie ‚Spielzeug zerstören‘, oder sowas? Das sind ja schon Folgen, die ein bisschen ausreißen. Wo ist da die Grenze, dass du sagst: Das ist für mich in Ordnung, und das nicht mehr.

Mama:          Also Grenze ist bei mir einfach nur, wenn irgendwelche Menschen irgendwas ertragen müssen, was sie nicht wollen. Alles andere ist mir im Prinzip egal. Ich meine, Spielzeug kaputt machen finde ich schade. Weiß ich nicht, ob das sein muss. Vielleicht kann man ihm auch einen Holzklotz in die Hand geben, dass er Holz hacken kann.

Nika:             Okay!

Mama:          Aber ich denke mal, das ist auch eine Verarbeitung von Kindheit, oder?

Nika:             Ja, aber wo ist das dann? Ich meine, du weißt ja, dass ich diesen psychologischen Hintergrund ein bisschen habe. Aber selbst ich war ja in dieser Situation: So okay, das war jetzt Grenze. Das geht so nicht. Das passt nicht. Ab wann ist da für dich auch komisch, dass deine Tochter sich dann damit befasst?

Mama:          Komisch ist es öfter, aber ich weiß, dass du deine Grenzen kennst. Ich und weiß auch, dass du die einhältst und nichts machst, was du nicht möchtest. Und da verlasse ich mich einfach drauf. Ich finde manche Sachen merkwürdig, ich würde es nicht machen. Aber ich weiß wie gesagt, dass du dahinterstehst und dass du genau das tust, was du möchtest. Bis zu einer gewissen Grenze. Und dann ist bei dir Feierabend. Das ist mir wichtig. Das weiß ich, damit kann ich leben, und damit kann ich auch durchaus die Sachen schreiben und akzeptieren.

Nika:             Ja gut, ist ja generell auf’s Leben bezogen, dass man weiß, wo die Grenzen sind. Das ist wichtig.

Mama:          Ja, aber manchen wissen es, glaube ich, nicht, oder versuchen einfach, darüber hinwegzugehen, was sicherlich für den Menschen oder für die Frau oder wie auch immer, oder für die Domina, nicht gut ist, weil das auf Dauer irgendwo was mit ihr machen wird. Denke ich mir.

Nika:             Jetzt sind wir wieder bei dem Begriff ‚Szene‘. Also die ist ja schon so ein bisschen angehaucht, dass man da denkt: Das ist Schmuh, Schmuddelecke, und so.

Glaubst du, dass da wirklich viele Menschen sind, die nicht ganz gesund sind? Wie man ‚gesund‘ auch immer definieren mag, speziell jetzt auch Dominas, die vielleicht ihre Grenzen nicht kennen, die das nur des Geldes wegen machen und das einfach auch nicht professionell lernen. Glaubst du, dass die Szene eigentlich eher so ist, wie sie zu sein scheint?

Oder gibt es da auch Lichtblicke? Bei mir ist es ja so. Bei mir würde man ja auch nie denken, ich sei eine. Aber ich habe dir ja schon von vielen Kolleginnen erzählt, die ein Ebenbild von mir sind, die auch einen ganz normalen Job haben, und die das einfach machen, weil sie Spaß haben. Was ist mit denen, die da nicht so die Grenzen kennen?

Mama:          Da muss ich jetzt an die Reeperbahn denken, wo du gewohnt hast. Die Mädels, die da so rumgelaufen sind – ich meine, da waren auch einige wirklich nett, sauber, adrett – aber da gab es natürlich auch einige, wo ich gedacht habe: Mmh, weiß ich nicht, ob das so gut ist, was die machen. Wenn man dann gesehen hat, von welchen – ich will jetzt nichts Verkehrtes sagen – von welchen Männern, Menschen oder wie auch immer die dann angesprochen wurden, da habe ich dann gedacht: Na, ob das jetzt der richtige Weg ist? Weil diese Männer oder wie auch immer …

Nika:             Lebewesen!

Mama:          … Lebewesen, die sie dann angesprochen haben, die hatten schon so eine sehr negative Ausstrahlung. Da war ich mir nicht sicher, ob das wirklich das ist, was die auch machen wollen, oder ob die da Sachen machen müssen, die sie nicht wollen, aber das Geld halt brauchen. Da kann ich mir schon vorstellen, dass es sicherlich noch einige Prozente gibt, die wirklich unterste Schublade sind. Würde ich jetzt mal sagen. Aber im Großen und Ganzen würde ich diesem Thema jetzt nicht mehr so dieses Negative andichten, wie es früher mal gewesen ist, oder wie es vielleicht vor zwanzig, dreißig Jahren gewesen ist.

Nika:             Das ist ja oft dieses Thema – man kennt es nicht anders, also setzt man da einen Stempel drauf.

Mama:          Genau. Ich meine, ich kenne ja auch einige Geschichten von deinem Onkel, die er so während seiner Marine-Zeit erzählt hat. Der war ja nicht ohne, wie du schon sagtest. Er hat diverse Sachen erzählt wo ich gedacht habe, in welchem Milieu hält der sich da auf. Wobei ich bei ihm auch weiß, dass er nie zu weit gegangen wäre. Aber er hat eben schon ein paar Geschichten erzählt, die er erlebt hat, die nicht okay waren.

Nika:             Glaubst du, dass ich es schaffe mit dem Podcast, diese Szene ein bisschen aufzubrechen?

Mama:          Auf jeden Fall. Das ist, glaube ich, nur eine Geduldsache. Ein bisschen Zeit. Das muss in den Köpfen der Menschen irgendwie offen werden. Ich glaube, je mehr du da auch dran arbeitest, so wie du das ja gerade machst – doch, da bin ich sehr zuversichtlich, dass das sehr gut ankommen wird.

Nika:             Guck mal, dass solche Generationen wie meine Mama sogar schon sagen, dass sie dadurch jetzt ein anderes Bild auf diese ganze Geschichte bekommen haben, das ist sehr, sehr schön zu hören.

Mama:          Auf jeden Fall. Deswegen freue ich mich ja auch, die Sachen immer alle zu schreiben.

Nika:             Jaja, ihr könnt euch das nicht vorstellen, wie das ist, immer noch! Jedes Mal, wenn ich dann wieder die E-Mail von Mama kriege – deine neue Folge. Herrlich. Was wünschst du den Leuten, die im Kopf haben: Ich würde ganz gerne da auch – nicht unbedingt mit den Eltern – aber mit den Bezugspersonen darüber sprechen, aber ich trau mich nicht. Was wünschst du denen? Oder was glaubst du, wie die das schaffen könnten, auch den Schritt zu gehen, zu wagen, wie ich es damals gemacht habe: ‚Hier, Eltern, ich muss euch was sagen‘.

Mama:          Ich glaube, grundsätzlich liegt es ja erstmal daran: ‚Wie ist das Elternhaus?‘ oder ‚Wie ist die Beziehung zu diesen Leuten?‘ Da haben wir ja vorhin im Auto noch drüber gesprochen. Eine richtig gute Familie gibt es ja nicht mehr so oft, und ich glaube, das ist das A und O, das Verhältnis zu den Eltern. Wenn das stimmt, dann muss man einfach offen mit denen reden. Und wenn nicht, ist natürlich schwierig zu beurteilen. Wenn das Verhältnis sowieso irgendwo nicht ganz in Ordnung ist, würde das wahrscheinlich so ein Thema komplett kaputt machen.

Nika:             Also glaubst du denn dann eher, dass man sich damit abfinden soll? Vielleicht gibt es ja auch einen Weg, den man für sich gehen kann. Meinst du, gibt es da kein Zwischending irgendwie? Es gibt ja, da haben wir uns vorhin auch noch drüber unterhalten, Menschen, die ganz gerne aus sich rauskommen würden, aber die direkt sagen: Aber das dürfen die, und die, und die Leute niemals wissen. Wir würden den Leuten ja eigentlich ganz gerne mal mitgeben: ‚Es ist wichtig, zu sich zu stehen und auch den Weg zu finden, das zu kommunizieren, wenn man das denn möchte‘.

Mama:          Kommunizieren auf jeden Fall, aber man muss sich im Vorhinein dann bewusst sein, dass da auch eine negative Reaktion sein kann. Und da muss man sich aber dann auch sicher sein, dass ich trotzdem weitermache. Egal wie die Eltern reagieren. So wie du gesagt hast: ‚Okay, dann enterben sie mich eben‘. Wie auch immer. Man muss halt im Vorhinein entscheiden: ‚Egal, wie die reagieren, ich gehe meinen Weg‘. Das ist ganz wichtig. Und nicht nur, weil die Eltern irgendwie negativ reagieren, oder Freunde, wer auch immer, zu sagen: ‚Nee, ich will das nicht machen‘, irgendwann kommt der Punkt, wo man das bereut. Irgendwann kommt der Punkt, vielleicht nach zehn Jahren, nach fünfzehn Jahren, nach zwanzig Jahren, dass man dann sagt: ‚Jetzt mache ich es einfach. Jetzt ist es mir auch egal‘. Dann ist es eigentlich zu spät, dann hat man zwanzig Jahre verschenkt.

Nika:             Ja, und der Preis ist sehr, sehr hoch, den man dann zahlt, wenn man den einen Moment dann verpasst. Ich glaube, es ist ja auch so sehr unbefriedigend. Kann man überhaupt glücklich werden, wenn man sowas tief in sich hat, egal, ob sexuelle Dinge oder Feminisierung, Männer, die gerne mal zur Frau werden wollen. Wenn man das nicht offen kommuniziert, ist es dann nicht ein total herber Verlust?

Mama:          Auf jeden Fall. Nach außen hin kann man vielleicht glücklich sein, aber innerlich kann man das, glaube ich, gar nicht verarbeiten oder so wegstecken, dass man das nie wieder empfindet. Das geht nicht. Glaube ich nicht. Ich habe ja auch einige Fälle im Bekanntenkreis, aus der Öffentlichkeit, die sich geoutet haben. Ein Mann mit drei oder vier Kindern hat sich plötzlich geoutet, dass er schwul ist, oder homosexuell. Oder ein anderer, der dann zur Frau geworden ist, selbst ein Priester. Das sind ja so Fälle, die haben auch jahrelang gewartet, gezögert. Und irgendwann haben sie dann gesagt: ‚So, jetzt mache ich das.‘ Im Nachhinein sind sie glücklich und froh, und es ist alles gut.

Nika:             Genau das ist das, dieses danach. Wie befreit die sich fühlen und wie glücklich die dann sind.

Mama:          Ja! Die gehen damit um, die gehen an die Öffentlichkeit, und dann ist alles gut. Dann kommen vielleicht ein paar dumme Kommentare. Das wird einfach so sein. Aber dann stehen die da drüber und dann ist das alles gut.

Nika:             Ich glaube sogar – bei mir war es ja jetzt nicht meine eigene Sexualität, sondern nur etwas, was ich tue, beruflich am Ende – trotzdem habe ich ja auch gedacht: ‚Weißt du was, du musst das jetzt einfach machen‘. Deshalb habe ich ja auch so geheult wahrscheinlich, weil ich gedacht habe, das ist so tief in mir drin, das ist so ein Stein, der auf mir liegt. Gut, ich hatte jetzt Glück, dass ihr so reagiert habt.

Da kam ich über Tage hinweg nicht drauf klar. Da habe ich ja gedacht, ich habe das geträumt. Aber in anderen Konstellationen, seien es jetzt Freunde oder Arbeitgeber oder so, war das bei mir durch die Bank weg positiv, und ich glaube, viele Menschen machen sich unnötig Angst, dass die Reaktion so sein könnte. Ich habe ja auch einige Leute im Coaching. Selbst die sagen dann: ‚Bor, ich hätte nie gedacht, ich habe jetzt den Schritt gemacht, und die haben gesagt, das ist cool, was du machst. Ich bin stolz auf dich. Geh deinen Weg weiter‘. Dieses ‚Was passiert wenn …‘ weiß man ja nicht.

Mama:          Ja, aber ich glaube, gerade die ganze Zeit ändert sich ja auch. Diese vielen Dinge mit männlich und weiblich und gender – das ist ja jetzt ein Thema, was wirklich ganz groß rauskommt, wo ständig auch in den Medien ein Thema ist, in den Zeitungen. Ich glaube, das befreit auch ganz extrem ganz viele. Und es gibt auch ganz vielen den Mut, jetzt einfach auch zusagen: ‚Okay, ich mach das jetzt. Ich gehe jetzt an die Öffentlichkeit, und es ist mir egal, was da kommt. Entweder leben die damit, oder lassen es sein‘. Dann werden auch viele ihren Bekanntenkreis wahrscheinlich auch dezimieren oder auswechseln, oder wie auch immer, wenn einige eben ganz krass reagieren.

Nika:             Ja aber wie du schon sagst – je mehr Leute das dann erkennen, wie wichtig das ist, zu sich zu stehen, umso mehr trauen sich dann auch. Die Leute, die sich dann verabschieden von jemandem, das waren ja dann auch nicht die richtigen. Die können dann aussteigen aus dem Zug des Lebens.

Mama:          Ganz genau. Die waren mal da, aber muss man nicht haben.

Nika:             Genau, die gehören dann einfach nicht mehr dazu.

Mama:          Das hat man ja auch in anderen Fällen.

Nika:             Dann haben wir ja vielleicht auch irgendwann das Glück, dass nicht mehr so viele Männer oder Frauen abgehetzt in Domina-Studios rennen, um nicht gesehen zu werden. Das ist ja auch immer so eine Sache. Das ist eigentlich Schade. Aber heute ist das doch teilweise so, dass die erstmal ankommen müssen. ‚Gott sei Dank, mich hat keiner gesehen‘. Das ist eigentlich traurig, aber durch solche Sachen, und auch heute, durch solche Sachen wie dieses wertvolle Interview mit meiner Mama hoffen wir, dass wir da einiges beitragen können zu der großen Angst, die viele haben. ‚Was, wenn meine Eltern das rausfinden‘?

Mama:          Ich finde es auch wichtig. Einfach mit den Leuten reden, das erklären, warum, weshalb, wieso, und dass sie sich damit wohlfühlen und einfach sagen: ‚Entweder kommt ihr damit klar, oder wir müssen einen Weg finden, miteinander umzugehen, trotzdem‘. Und wenn es gar nicht geht, dann muss man eben einen Cut machen.

Nika:             Ja, auch entscheiden, was wichtiger ist. Ich meine Eltern, das ist natürlich so das Endgame, die Endgegner wahrscheinlich für viele. Aber ist ja auch egal. Irgendwelche Bezugspersonen oder auch Partner – innerhalb von Partnerschaften dem Partner zu sagen: ‚Du, eigentlich möchte ich gerne mal das …‘.

Mama:          Ganz genau. Vielleicht ist dann irgendwo mal Sendepause eine Zeit lang, aber vielleicht nähert man sich irgendwann doch wieder an, weil die Eltern dann vielleicht merken: ‚Mensch, ist doch mein Kind, ich muss eigentlich dazu stehen. Da ist eben etwas anders als wir früher waren, aber ist okay‘. Und je mehr ich dem Kind auch den Rücken stärke, umso besser kann man doch damit umgehen. Auch wenn man drauf angesprochen wird, ja gut, dann steht man dazu und dann ist das gut. Und wenn einer da nicht mit klar kommt, dann muss er mal sehen, wo er bleibt. Ich finde, das ist ganz wichtig, und wenn man offen mit den Leuten redet, glaube ich auch gar nicht, dass die negativen Reaktionen so krass werden. Vielleicht im Moment, dass sie mal sagen: ‚Mmh‘. Aber wenn man sich dann wiedersieht, redet man ganz normal miteinander, und dann ist das gut.

Nika:             Also ein Appell an alle Eltern: Seid mal locker!

Mama:          Ja, auf jeden Fall. Wie gesagt. Die Kinder sind da, weil wir die haben wollten, und dann muss man sie auch unterstützen. Man muss ihnen helfen auf ihrem Weg, den sie gehen wollen. Das ist ganz wichtig. Wenn einer kein Abi machen will, dann macht er kein Abi, und wenn einer, was weiß ich, studieren will, dann studiert er halt. Und wenn einer auf den Pütt gehen möchte, dann geht er auf den Pütt, wobei Pütt gibt es ja heute nicht mehr.

Nika:             Ich glaube, das musst du auch kurz erklären, für die Leute, die nicht aus unserer Ecke kommen.

Mama:          Ach so, ja. Okay, ja, Zeche, Kohle.

Nika:             Also summa summarum halten wir fest, dass es am allerwichtigsten ist, einfach zu sich selbst zu stehen – nicht einfach, ist nicht einfach, bei mir war es auch nicht einfach, auch wenn ich da jetzt so locker drüber sprechen kann, aber das kann ich auch nur, weil ich es getan habe.

Aber ganz wichtig ist es, zu sich zu stehen, sich zu finden und dann zu sagen, die Entscheidung zu treffen: ‚Ich will das jetzt mit allen Konsequenzen‘. Auch wenn es dann die Eltern sind, den Schritt gehen, je nachdem, wer dann die Bezugsperson ist, Freunde, oder wer auch immer das dann sein soll, der die Information bekommen soll.

Hingehen, den Mut haben, und mit den Konsequenzen rechnen. Aber vielleicht auch einfach mal sich nicht so leiten lassen von der Angst, wie könnte derjenige oder diejenige reagieren. Man weiß es nicht, und aus vielen Situationen, zumindest aus meinem Leben und vielleicht auch aus deinem, kann man ja sehen, im Nachhinein sitzt man ja oft da und denkt: ‚So schlimm war das jetzt gar nicht‘.

Mama:          Das ist halb so wild, ja, eben, ganz genau.

Nika:             Mama, vielen lieben Dank für dieses tolle Interview. Erstmal hast du mir einen großen Gefallen damit getan und ich hoffe, dass da viele Leute die Worte mitnehmen und einfach so dankbar sind wie ich, und dass die Leute vielleicht jetzt mit anderen Augen da drangehen, was auch immer vor denen steht.

Mama:          Gerne!

Nika:             Schickt mir gerne mal Feedback, sagt mir Bescheid, wie ihr das fandet.

Mama:          Ja, ich bin auch gespannt. Und auch auf die weiteren Folgen.

Nika:             Vielen lieben Dank für deine Zeit, das war sehr wertvoll für mich und bestimmt auch für viele andere.

Mama:          Schön, da freu ich mich.

Nika:             Danke Mama, ciao.

Mama:          Ciao.

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Warum macht sie das?

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  • Ausbruch - neue/alternative Wege gehen
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  • Mit Geschichten aus dem wahren Leben.
  • Mit eigener Erfahrung, die sie euch zu Nutze macht.
  • Mit knallharter Wahrheit und derzeit jeder Menge Fakten über die schwarz-bunte Welt der BDSM Szene